Für international ausgerichtete Unternehmen im Onlinehandel gibt es laufend steuerliche Rechtsänderungen sowie andere Dauerthemen zur Umsatzsteuer zu beachten, die von praxisrelevanter Bedeutung sind und in der Buchhaltung der besonderen Aufmerksamkeit zur Einhaltung der Tax Compliance bedürfen.
Weiter sind Onlinehändler auch mit aktuellen Geschäftsprozessen konfrontiert, denen bestimmte Trends zugrunde liegen. Zu diesen Trends gehören etwa: Drop-Shipping, Lagerhaltung im Ausland oder Influencer-Marketing.
Drop-Shipping kurz erklärt: Das Drop-Shipping, auch als Streckengeschäft bezeichnet, ist im E-Commerce der Onlinehandel mit Produkten, die der Händler seinerseits erst bestellt, sobald der Endkunde sie bei ihm bestellt hat, und die er direkt vom Hersteller bzw. Großhändler an den Endkunden ausliefern lässt.
Umsatzsteuer in der Buchhaltung des Onlinehändlers
Sämtliche im Unternehmen vorkommende Geschäftsvorfälle müssen in der Buchhaltung umsatzsteuerrechtlich richtig gebucht werden. Hierzu gehören auch die über Amazon oder ebay abgewickelten Geschäfte mit den Besonderheiten eines elektronischen Marktplatzes und einer Lagerhaltung im Ausland. Die sich aus der Finanzbuchhaltung ergebende inländische oder ausländische USt ist fristgerecht an die jeweilige zuständige inländische oder ausländische Finanzverwaltung zu melden und abzuführen.
Beispiele zu umsatzsteuerlich relevanten Aktionen im Onlinehandel
Ein zu buchender Geschäftsvorfall besteht aus mehreren unterschiedlichen Aktionen. Diese Aktionen sind regelmäßig in einer Arbeitsanweisung des Unternehmens festgehalten. Bei Unternehmen im Online- und Versandhandel sind insbesondere folgende USt-lich relevante Aktionen zu beachten:
- Abgrenzung zwischen Lieferungen und Dienstleistungen
- Abgrenzung zwischen Unternehmern und Privatpersonen
- Beachtung von Lieferschwellen
- laufende Prüfung von Umsatzsteuer-Identifikationsnummern (USt-IdNrn.)
- zutreffender Umsatzsteuer-Ausweis in den Rechnungen
- im Falle von »Fulfillment by Amazon« (FBA), d. h. Versand/Abwicklung über Amazon: Registrierungspflichten im EU-Ausland, Umlagerungen und Warenretouren
Hochautomatisierte Berechnung der Umsatzsteuer
Viele Prozesse beim Online- und Versandhandel laufen digital und hochautomatisiert ab. Das bedeutet, dass die Kunden-Datensätze aus den Shop- bzw. Vorsystemen bereits dort mit Besteuerungsmerkmalen – wie z. B. Ort der Besteuerung und Umsatzsteuer-Satz – versehen werden. Diese Kunden-Datensätze werden anschließend über Schnittstellen in die Finanzbuchhaltung des ERP-Systems übernommen.
Im ERP-System erfolgt anhand der übergebenen Besteuerungsmerkmale eine automatisierte Verbuchung der Umsätze, je nach Besteuerungsmerkmal ohne oder mit inländischer oder ausländischer Umsatzsteuer. Eine manuelle Nachbearbeitung und Kontrolle einzelner Kundenumsätze durch Mitarbeiter der Buchhaltung findet regelmäßig nicht mehr statt.
Einrichtung von Compliance-Prozessen zur Fehlervermeidung
Aufgrund der im Online- und Versandhandel vorliegenden Massen-Datenverarbeitung kann bereits eine einzige fehlerhaft gesetzte Variable in den Shop- bzw. Vorsystemen oder ein einzelner Fehler in der Schnittstelle Umsatzsteuer-Nachzahlungen für mehrere Jahre und in einer erheblichen Größenordnung auslösen.
Daher ist es ratsam, entsprechende Arbeitsanweisungen zur Ermittlung der zutreffenden USt einzurichten und diesen Themenbereich in ein innerbetriebliches Kontrollsystem für Steuern (Tax Compliance Management System) mit aufzunehmen. Die komplexen Regelungen zur Umsatzsteuer werden dadurch — soweit erforderlich in Zusammenarbeit mit einem Spezialisten — in den Shop- bzw. Vorsystemen nachprüfbar umgesetzt.
Je nach Sachlage kann es sich zudem anbieten, die umsatzsteuerlichen Transaktionsdaten durch die Anbindung einer speziellen Softwarelösung an das Shop- und ERP-System automatisiert und unter Beachtung der Compliance-Anforderungen ermitteln zu lassen.
Dokumentation der ausgeführten automatisierten Prozesse in einer Verfahrensdokumentation
Die digitalen und hochautomatisierten Prozesse machen eine ordnungsgemäße Verfahrensdokumentation zu den eingesetzten IT-Systemen praktisch zwingend erforderlich. Insbesondere im Online- und Versandhandel muss die Verfahrensdokumentation auch eine ausführliche Beschreibung der eingesetzten Schnittstellen beinhalten.
One Stop Shop (OSS) für den innergemeinschaftlichen Fernverkauf
Die Ortsbestimmung bei grenzüberschreitenden Lieferungen an Privatpersonen in der EU ist reformiert worden, was ab dem 01.07.2021 eine umsatzsteuerliche Regeländerung mit sich bringt. Kernstück der Reform ist die Abschaffung der länderbezogenen nationalen Lieferschwellen und die Einführung eines Grenzwertes für alle EU-Auslandsumsätze eines Unternehmens an Endverbraucher.
Hierdurch wird sich die Anzahl der Unternehmen, die in anderen EU-Staaten umsatzsteuerpflichtig werden, deutlich erhöhen. Gleichzeitig können innergemeinschaftliche Fernverkäufe unter den in § 3c Umsatzsteuergesetz geregelten Voraussetzungen ab dem 01.07.2021 über den neu eingeführten One Stop Shop (OSS) beim Bundeszentralamt für Steuern erklärt werden.
Bei der (freiwilligen) Teilnahme am OSS-Verfahren kann das Unternehmen die relevanten Umsätze zentral über den One Shop Shop (OSS) des Landes melden, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Besonderheiten ergeben sich u.a., wenn ein Lager im Ausland unterhalten wird, bei B2B-Lieferungen oder bei B2C-Lieferungen ins eigene Land. In diesen Fällen sind regelmäßig weiterhin lokale Meldungen im jeweiligen Land erforderlich.
Neben den erforderlichen Anpassungen in den IT-Prozessen ist aufgrund der Besonderheiten auch eine enge Abstimmung mit einem spezialisierten Berater oder der ausländischen Finanzbehörde erforderlich, um die Durchführung des OSS-Verfahrens nicht zu gefährden und die Mehrwertsteuer 2021 und Folgejahre richtig zu melden.
Achtung: Drop-Shipping ist grundsätzlich kein Anwendungsfall für das OSS-Verfahren.
Drop-Shipping als (innergemeinschaftliches) Reihengeschäft
Mit dem Ende 2018 neu eingeführten Art. 36a Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (›MwStSystRL‹) wurden Reihengeschäfte im innergemeinschaftlichen (›i.g.‹) Handel erstmals unionsrechtlich definiert. Das nationale — hier: deutsche — umsatzsteuerliche Reihengeschäft wurde im Rahmen der sog. quick fixes ans EU-Recht angepasst und zum 01.01.2020 in § 3 Abs. 6a UStG neu geregelt. Gleichzeitig wurden die deutschen Regelungen zu den i.g. Lieferungen in § 6a und § 4 Nr. 1b UStG verschärft.
Wann liegt ein Reihengeschäft vor?
Reihengeschäft einfach erklärt: Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn (i) mindestens drei Unternehmer — ❶ erster Unternehmer, ❷ ein oder mehrere Zwischenhändler und ❸ letzter Abnehmer — über dieselbe Ware Umsatzgeschäfte abschließen und (ii) die Ware vom ersten Unternehmer (Abgangsort der Ware) direkt an den letzten Abnehmer (Bestimmungsort der Ware) befördert oder versendet wird. Die gesamte Transport-Verantwortung liegt bei einem Unternehmer der Reihe.
Bei einem i.g. Reihengeschäft liegen der Abgangsort und der Bestimmungsort der Ware in unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten. Die für i.g. Lieferungen vorgesehene Umsatzsteuerbefreiung kommt dabei nur für eine — nämlich die sog. »bewegte« — Lieferung zwischen den Unternehmern ggf. in Betracht.
Verwendung einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer
Um bei einer i.g. Lieferung in den Genuss einer Umsatzsteuerbefreiung zu kommen, ist seit dem 01.01.2020 die Verwendung einer gültigen USt-Identifikationsnummer(‑›IdNr.‹) gesetzlich zwingend vorgeschrieben. Somit gilt: Wird bei der »bewegten« Lieferung keine gültige USt-IdNr. verwendet, ist ein i.g. Reihengeschäft immer umsatzsteuerpflichtig.
Die geltenden Rechtsänderungen könnten deshalb in Ihrem Unternehmen z. B. für folgende problematischen Bereiche in der Buchhaltung eine gesonderte Verfahrensanweisung zur Umsatzsteuer 2021 erforderlich machen:
- Der Begriff »Verwendung« einer USt-IdNr. wird nach EU-Recht einerseits und von der dt. Finanzverwaltung andererseits unterschiedlich ausgelegt
- die Gültigkeit der verwendeten USt-IdNrn. ist bei jeder einzelnen Lieferung sicherzustellen und zu dokumentieren
- i.g. Reihengeschäfte können durch die Steuerlogik des ERP-Systems ggf. nicht automatisch erkannt und abgerechnet werden, so dass hier eine manuelle Bearbeitung sichergestellt werden muss
Steuerfindung mithilfe von ERP-Systemen
Alle Schritte nach erfolgter Leistungserbringung — Rechnungserstellung, Ermittlung des anwendbaren Umsatzsteuersatzes und Verbuchung i.g. Lieferungen des Unternehmens — erfolgen in der Regel über eine automatisierte Steuerlogik im ERP-System. Berücksichtigt werden dabei die im Warenwirtschaftssystem — ggf. von den Mitarbeitern manuell — eingepflegten Stammdaten und die zum jeweiligen Liefervorgang generierten Bewegungsdaten (z. B. Angaben zur Transportverantwortung).
Damit die automatisierte Steuerlogik ordnungsgemäß funktioniert, müssen insbesondere zum Liefer- und Abrechnungszeitpunkt die erforderlichen Daten des jeweiligen Umsatzgeschäftes im ERP-System erfasst sein — und zwar vollständig und den steuerlichen Regeln entsprechend. Des Weiteren ist zu prüfen, ob die Steuerlogik in der Lage ist, i.g. Reihengeschäfte zu erkennen und automatisiert zu buchen, oder ob ergänzende manuelle Tätigkeiten notwendig und diese in Arbeitsanweisungen zu dokumentieren sind.
Aktuelle Rechtsentwicklungen beim innergemeinschaftlichen Reihengeschäft
Die aktuellen steuerlichen Entwicklungen in diesem Bereich sollten stets aufmerksam verfolgt werden, so z. B. hinsichtlich des Nachweises gültiger USt-IdNrn.
Anschauungsbeispiel: USt-IdNrn. Niederlande
Die niederländischen Behörden haben in 2019 mitgeteilt, dass den in den Niederlanden registrierten Einzelunternehmern neue USt-IdNrn. erteilt werden, die bei i.g. Umsätzen seit dem 01.01.2020 verpflichtend zu verwenden sind. Somit müssen auch die in Deutschland registrierten Unternehmer seit dem 01.01.2020 für sämtliche Umsätze mit diesen Unternehmern die neue niederländische USt-IdNr. verwenden. Die früheren niederländischen USt-IdNrn. haben zum 01.01.2020 ihre Gültigkeit verloren.