Bei einer konzerninternen internationalen Arbeitnehmerentsendung wird das aufnehmende inländische Unternehmen gegebenenfalls zum wirtschaftlichen Arbeitgeber. Im Folgenden erhalten Sie einen praxisnahen Überblick über die zu beachtenden Grundsätze.
Topaktuelle Entscheidung des Bundesfinanzhofs
Nach einer topaktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteil vom 4.11.2021 – VI R 22/19, veröffentlicht am 17.03.2022) ist bei einer Arbeitnehmerentsendung das aufnehmende inländische Unternehmen zum Lohnsteuerabzug verpflichtet, wenn es
- den Arbeitslohn für die ihm geleistete Arbeit wirtschaftlich trägt,
- der Einsatz des Arbeitnehmers bei dem aufnehmenden Unternehmen in dessen Interesse erfolgt,
- der Arbeitnehmer dort in den Arbeitsablauf eingebunden und
- den Weisungen des aufnehmenden Unternehmens unterworfen ist.
Letztlich muss die entsandte Person nach allgemeinen lohnsteuerlichen Grundsätzen als Arbeitnehmer des wirtschaftlichen Arbeitgebers zu beurteilen sein. Bei der zutreffenden Beurteilung dieser äußerst komplexen Materie sind zudem umfassende Verwaltungsregelungen der Finanzverwaltung zu beachten (BMF-Schreiben vom 3.5.2018 – IV B 2 – S 1300 – 08/10027, BStBl I S. 643 sowie BMF-Schreiben vom 9.11.2001 – IV B 4 – S 1341 – 20/01, BStBl I S. 796).
Grundsätzliches zum Lohnsteuerabzug
Seit 2004 ist für das Lohnsteuerabzugsverfahren maßgebender inländischer Arbeitgeber bei einer internationalen Arbeitnehmerentsendung das in Deutschland ansässige aufnehmende Unternehmen, das den Arbeitslohn für die ihm geleistete Arbeit wirtschaftlich trägt.
Zunächst bestand in den Fällen einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung eine Lohnsteuerabzugsverpflichtung des in Deutschland ansässigen und den Arbeitnehmer aufnehmenden Unternehmens nur dann, wenn es die Lohnkosten tatsächlich wirtschaftlich trug. Dabei bedeutete „wirtschaftlich tragen“, dass das ausländische Unternehmen vom inländischen Unternehmen einen finanziellen Ausgleich für die Arbeitnehmerüberlassung erhielt.
Von der Lohnsteuerabzugsverpflichtung nicht erfasst wurden zunächst die Fälle, in denen das ausländische verbundene Unternehmen auf einen finanziellen Ausgleichanspruch gegenüber dem inländischen Unternehmen verzichtete, obwohl unter Fremden üblicherweise ein Ausgleich beansprucht worden wäre. Durch einen Verzicht auf eine Ausgleichsforderung konnten verbundene Unternehmen somit eine Lohnsteuerabzugsverpflichtung für die nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer umgehen.
Wichtige Neuregelung bei der internationalen Arbeitnehmerentsendung seit 2020
Seit 2020 ist in den Fällen der internationalen Arbeitnehmerentsendung das in Deutschland ansässige aufnehmende Unternehmen inländischer Arbeitgeber im lohnsteuerlichen Sinne auch dann, wenn es den Arbeitslohn für die ihm geleistete Arbeit nach dem Fremdvergleichsgrundsatz hätte tragen müssen (§ 38 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019, BGBl 2019 I S. 2451). Seitdem besteht eine Lohnsteuerabzugsverpflichtung für die nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer auch bei einem Verzicht des ausländischen Unternehmens auf eine Weiterbelastung der Lohnkosten.
Die Konsequenzen hieraus: Wird die Tätigkeit bei einem verbundenen Unternehmen – und dies gilt nicht nur für weltweit tätige Konzerne, sondern durchaus auch für mittelständische Unternehmen mit Auslandsbezug – ausgeübt, ist zu prüfen, ob ggfs. neben dem zivilrechtlichen Arbeitgeber ein wirtschaftlicher Arbeitgeber vorhanden ist.
Dabei wird das aufnehmende inländische Unternehmen zum wirtschaftlichen Arbeitgeber i.S. von § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG, wenn es den Arbeitslohn für die ihm geleistete Arbeit wirtschaftlich trägt bzw. nach Verrechnungspreisgrundsätzen hätte tragen müssen. Das wirtschaftliche Tragen des Arbeitslohns ersetzt in diesen Fällen die für den zivilrechtlichen Arbeitgeberbegriff erforderliche arbeits- bzw. dienstvertragliche Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, auf der die Zahlung des lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohns (zivilrechtlich) im Regelfall beruht.
Unbeschadet dessen muss die entsandte Person nach allgemeinen Grundsätzen als Arbeitnehmer des wirtschaftlichen Arbeitgebers anzusehen sein. Zu einem Wechsel der Arbeitgeberstellung bedarf es weder einer förmlichen Änderung des Dienstvertrages zwischen Arbeitnehmer und entsendendem Unternehmen noch ist der Abschluss eines zusätzlichen Arbeitsvertrages zwischen dem Arbeitnehmer und dem aufnehmenden Unternehmen oder eine im Vorhinein getroffene Verrechnungspreisabrede zwischen den verbundenen Unternehmen erforderlich.
Verbuchung des Lohnaufwands
Die Lohnsteuereinbehaltungspflicht des wirtschaftlichen Arbeitgebers ist unabhängig von der späteren Verbuchung des jeweiligen Lohnes. Denn ansonsten hätten es zu einem Unternehmensverbund gehörende Gesellschaften allein durch die Verbuchung des Lohnes in der Hand zu bestimmen, welcher Staat den Arbeitslohn bei einer Arbeitnehmerentsendung besteuert. Weitere Folge wäre, dass die Gesellschaften durch die Verbuchung festlegen könnten, in welchem Staat der Gewinn durch die Lohnzahlung gemindert wird.
Eine „willkürliche“ Weiterbelastung des Arbeitslohns führt letztlich nicht zur Begründung der Arbeitgebereigenschaft, ebenso wie eine unterbliebene Weiterbelastung die Arbeitgebereigenschaft beim aufnehmenden Unternehmen nicht verhindern kann.
Erbringung einer Werklieferungs- oder Werkleistungsverpflichtung
Wird der Arbeitnehmer zur Erfüllung einer Lieferungs- oder Werkleistungsverpflichtung des entsendenden Unternehmens bei einem verbundenen Unternehmen tätig und ist sein Arbeitslohn Preisbestandteil der Lieferung oder Werkleistung, ist der zivilrechtliche Arbeitgeber (das entsendende Unternehmen) auch Arbeitgeber im lohnsteuerlichen Sinne. Dabei sind einzeln abgrenzbare Leistungen ggfs. gesondert zu betrachten.
Arbeitnehmerentsendung bei Organen juristischer Personen
Bei Organen juristischer Personen unterscheidet der Bundesfinanzhof (BFH) zwischen der Organstellung und dem ihr zugrunde liegenden Anstellungsverhältnis. Bestellung und Abberufung als Vertretungsorgan sind ausschließlich körperschaftliche Rechtsakte, durch die gesetzliche und satzungsgemäße Kompetenzen übertragen oder entzogen werden. Dagegen ist die Anstellung zum Zweck des Tätigwerdens als Vertretungsorgan regelmäßig ein schuldrechtlicher gegenseitiger Vertrag.
Ob das Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist, richtet sich nach den allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung selbständiger von nichtselbständiger Tätigkeit. Ist der Arbeitnehmer etwa in seiner Funktion als Verwaltungsratsmitglied oder Geschäftsführer nicht in die Hierarchie des aufnehmenden Unternehmens eingebunden, wird er ausschließlich als Arbeitnehmer des entsendenden Unternehmens tätig, während im Verhältnis zum aufnehmenden Unternehmen die für ein Arbeitsverhältnis kennzeichnende Abhängigkeit fehlt. In diesen Fällen bleibt das entsendende Unternehmen lohnsteuerlicher Arbeitgeber sowie Arbeitgeber im Sinne bestehender Doppelbesteuerungsabkommen (DBA).
Abgrenzungskriterien zur Bestimmung des wirtschaftlichen Arbeitgebers
Für die Entscheidung, ob der Arbeitnehmer in das aufnehmende Unternehmen eingebunden ist, ist das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend. Hierbei sind insbesondere folgende Abgrenzungsmerkmale zu berücksichtigen:
- Wer entscheidet über Art und Umfang der täglichen Arbeit?
- Wer stellt die Arbeitsmittel?
- In wessen Räumlichkeiten wird die Arbeit erbracht?
- Wer entscheidet über die Höhe der Bezüge (mit wem wurde die Gehaltsvereinbarung abgeschlossen)?
- Welchen Zeitraum umfasst das Tätigwerden im aufnehmenden Unternehmen?
Soweit die vorstehenden Kriterien zu keiner eindeutigen Entscheidung führen, sind auch folgende nachgeordnete Abgrenzungsmerkmale zu berücksichtigen:
- Wer entscheidet über die Teilnahmeberechtigung an einem etwaigen Erfolgsbonus- und Aktienerwerbsplan des Konzerns?
- Wer trägt das Risiko für eine Lohnzahlung im Nichtleistungsfall?
- Gegenüber wem erwachsen Abfindungs- und Pensionsansprüche?
- Wer entscheidet über die Urlaubsgewährung?
- Wer hat das Recht der Entscheidung über Kündigung oder Entlassung? Gelten die Kündigungsgründe des Staates des Personalentsenders oder jene des Staates des Personalverwenders?
- Mit wem hat der Arbeitnehmer Meinungsverschiedenheiten aus dem Dienstvertrag – gegebenenfalls gerichtlich – auszutragen?
- Wer ist für die Sozialversicherungsbelange des Arbeitnehmers verantwortlich?
Zwei Unternehmen als Arbeitgeber
Ist ein Arbeitnehmer sowohl für seinen ausländischen zivilrechtlichen Arbeitgeber als auch für ein weiteres im Inland ansässiges verbundenes Unternehmen tätig, können lohnsteuerlich und abkommensrechtlich beide Unternehmen „Arbeitgeber“ des betreffenden Arbeitnehmers sein.
Voraussetzung ist, dass nach den vorgenannten Grundsätzen beide Unternehmen für die jeweils anteiligen Vergütungen als Arbeitgeber im Sinne des DBA anzusehen sind. Dies kann der Fall sein, wenn sowohl das entsendende als auch das aufnehmende Unternehmen ein Interesse an der Entsendung haben, weil der Arbeitnehmer Planungs- Koordinierungs- oder Kontrollfunktionen für das entsendende Unternehmen ausübt (BMF-Schreiben vom 9.11.2001, BStBl I S. 796, Tz. 3.1.1). Es liegen in einem solchen Fall zwei Arbeitsverhältnisse vor, die mit ihren (zeit-) anteiligen Vergütungen getrennt zu beurteilen sind (bestätigt durch BFH vom 04.11.2021 – VI R 22/19).
Vereinfachungsregelung
Bei einer Arbeitnehmerentsendung zwischen international verbundenen Unternehmen von nicht mehr als drei Monaten (auch jahresübergreifend für sachlich zusammenhängende Tätigkeiten) spricht nach Auffassung der Finanzverwaltung eine widerlegbare Anscheinsvermutung dafür, dass das aufnehmende Unternehmen mangels Einbindung des Arbeitnehmers nicht als wirtschaftlicher Arbeitgeber anzusehen ist. Die Anscheinsvermutung kann im Einzelfall entkräftet werden.
Ergibt sich nach den tatsächlich feststellbaren Verhältnissen eine Eingliederung in das aufnehmende Unternehmen, ist dieses auch bei Tätigkeiten von bis zu drei Monaten als Arbeitgeber i.S.d. DBA anzusehen (BMF-Schreiben vom 03.05.2018, Rz. 142).
Zeitpunkt des Lohnsteuerabzugs
Die Lohnsteuer entsteht bereits im Zeitpunkt der Arbeitslohnzahlung an den Arbeitnehmer, wenn das inländische Unternehmen auf Grund der Vereinbarung mit dem ausländischen Unternehmen mit einer Weiterbelastung rechnen kann. In diesem Zeitpunkt ist die Lohnsteuer vom inländischen Unternehmen zu erheben (R 38.3 Abs. 5 Satz 4 LStR).
Diese Regelung ist zwar in der Praxis nicht unproblematisch, erscheint letztlich jedoch systematisch zutreffend, da Deutschland im Zeitpunkt der Arbeitslohnzahlung das Besteuerungsrecht hat. Würde man für den Lohnsteuerabzug auf den Zeitpunkt der Weiterbelastung durch das ausländische Unternehmen abstellen, wären zudem verfahrenstechnische Schwierigkeiten zu gewärtigen, wenn zwischen der Arbeitslohnzahlung und der Weiterbelastung ein Jahreswechsel liegt (Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr des Lohnzuflusses beim Arbeitnehmer erforderlich).
Keine Begründung der Lohnsteuereinbehaltungspflicht durch DBA
Schließlich bestätigt der BFH einen allgemeinen Grundsatz im internationalen Steuerrecht: DBA dienen allein der Vermeidung einer vorhandenen Doppelbesteuerung. Sie sind grundsätzlich nicht dazu da, steuerliche Pflichten in Deutschland zu begründen. Die Begründung einer Lohnsteuerpflicht kann sich deshalb nur nach nationalem Recht und somit aus dem Einkommensteuergesetz selbst ergeben.